Angestellte Ärztin bittet Ärztekammer zu Sicherheitsproblemen in ihrer Praxis um Rat

Darf einer Ärztin fristlos gekündigt werden, wenn diese nach ergebnislosen Gesprächen mit der Geschäftsführung schließlich mit der Ärztekammer über Sicherheitsprobleme in der Praxis spricht? Diese Frage musste das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) im folgenden Fall beantworten.

Die Klägerin nahm hier im Rahmen ihrer Tätigkeit als Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie in der Privatpraxis des Beklagten Endoskopien vor. Sie war besorgt um die Sicherheit der behandelten Patienten, da in der Praxis für Endoskopie die fachlichen Standards bei der Personalausstattung und -ausbildung nicht eingehalten wurden. Sie monierte die Zustände zuerst mehrfach gegenüber der Geschäftsleitung. Schließlich fragte sie die Ärztekammer und später auch die Deutsche Gesellschaft für Endoskopiefachberufe um Rat.

Ihr Arbeitgeber veränderte daraufhin ihre Dienstzeiten zu ihrem Nachteil und kündigte ihr schließlich fristlos. Er warf ihr vor, sie habe das Vertrauensverhältnis irreparabel geschädigt, als sie sich mit Interna an die Ärztekammer und die Fachgesellschaft gewendet habe. Die Ärztin wehrte sich gerichtlich gegen die sofortige Kündigung.

Das LAG gab der Ärztin weitestgehend recht und erklärte die Kündigungen für unwirksam. Weder die außerordentliche noch die ordentliche Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Ärztin beendet. Die Praxis musste die Ärztin weiterhin beschäftigen. Insbesondere die Mitteilung der Ärztin an die Ärztekammer rechtfertige keine Kündigung. Sie habe damit nicht gegen das arbeitsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßen. Das Einschalten der Ärztekammer sei gerade im Falle eines Konfliktes zwischen Ärzten zulässig und nicht zwangsläufig als Anzeige eines Fehlverhaltens zu verstehen, zudem es sich bei der Ärztekammer um keine Institution wie die Staatsanwaltschaft handle.

Das LAG betonte, dass die Ärztin auch unter Beachtung der Rücksichtnahmepflichten gehandelt habe, weil sie das nach ihrer Einschätzung im Hinblick auf die Endoskopien rechtswidrige Verhalten ihres Arbeitgebers zunächst ihm gegenüber vorgebracht habe. Die Ärztin habe auch keine Unwahrheiten gegenüber der Ärztekammer bzw. der Fachgesellschaft behauptet.

Hinweis: Die Ärztin hat richtig erkannt, dass ihr auch selbst arzthaftungsrechtliche Konsequenzen hätten drohen können, wenn sie die Zustände in der Praxis weiterhin durch ihre Arbeit unterstützt hätte. Zu nennen sind hier insbesondere die fehlende Ausbildung des Hilfspersonals in der Endoskopie und in der damit verbundenen Anästhesie, zum Beispiel bei der alltäglichen Anwendung von Propofol.

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.11.2020 – 9 Sa 426/20